Nebel Karriereberatung

Blog "CEO-Bewerbung"

Blog "CEO-Bewerbung"

Für Unternehmen war Ghosting lange Zeit normal. Warum sollen Bewerber das nicht umgekehrt auch dürfen?

Ein Trend schwappt scheinbar auf die Arbeitswelt: Bewerber melden sich trotz Angebot nicht mehr zurück. Das Phänomen ist weniger verwegen, als es zunächst erscheint. 

Es geistert durch Presse, Blogs und Studien und hat ein „hässliches Gesicht“: Ghosting! „Gegenstand“ der aktuellen Diskussion sind Bewerberinnen und Bewerber, die ohne vorherige Ankündigung den Kontakt im Laufe des Bewerbungsprozesses einfach abbrechen oder sogar trotz Vertragsunterschrift am ersten Arbeitstag erst gar nicht erscheinen. „Unanständig!“, „Respektlos!“, „Vorsicht, man sieht sich ein zweites Mal!“ sind nur drei Beispiele für die schnelle, emotionale Bewertung dieses scheinbar um sich greifenden Verhaltens.

>> Woher kommt der Begriff ‚Ghosting‘?

Kennen Sie den Ursprung von ‚Ghosting‘? Ich kannte ihn nicht, also habe ich gegoogelt. Ich wollte wissen, ob Ghosting ein ursprünglich berufliches Phänomen ist. Überraschung: Ghosting kommt aus dem psychologischen Bereich. Laut Wikipedia versteht man unter dem Begriff ‚Ghosting‘ (engl. ‚Geisterbild‘, ‚Vergeisterung‘): „In einer zwischenmenschlichen Beziehung (Partnerschaft oder Freundschaft) einen vollständigen Kontakt- und Kommunikationsabbruch ohne Ankündigung. Obwohl vorher Dates stattgefunden haben, meist eine tiefere Beziehung bestand, laufen plötzlich jegliche Kontaktversuche ins Leere.“ Da ich in meiner Karriereberatung gerne mit Analogien zu privaten Beziehungen arbeite, musste ich bei dieser Entdeckung schmunzeln.

>> Wie sehen die Fakten zum Ghosting aus?

Wie ausgeprägt ist Ghosting überhaupt? Ist das Phänomen wirklich weitverbreitet? Diese Fakten habe ich gefunden: Bei einer Befragung der Jobbörse Indeed und der Marktforschungsfirma Appinio haben von 400 Recruiter und Recruiterinnen deutscher Firmen knapp 56 Prozent angegeben, dass das Ghosting in den vergangenen Monaten zugenommen habe. 31,5 Prozent sagen, das Ghosting-Phänomen trete mindestens einmal im Monat auf. Betrachtet man die „geghosteten“ Positionen, so handelt es sich häufiger um Angestellte in Voll- und Teilzeit, weniger um Führungspositionen oder Ausbildungsplätze. Und laut der Studie ghosten Männer deutlich häufiger als Frauen. Ghosting findet am häufigsten vor (36,3 Prozent) bzw. nach (29 Prozent) einem Bewerbungsgespräch statt. Aber auch nach einer konkreten Zusage (17,5 Prozent) oder gar am ersten Arbeitstag (6,8 Prozent), also nach Vertragsunterschrift. In allen Fällen kommt es zum geisterhaften Verschwinden.

>> Früher haben die Unternehmen geghosted

Wenn Ghosting also gerade zunimmt, was war dann vorher? Aus der Perspektive meiner langjährigen Beratungspraxis hat die „Vergeisterung“ die Seiten gewechselt. Denn Bewerberinnen und Bewerber erlebten schon seit jeher, dass die Arbeitskräfte suchenden Unternehmen im Bewerbungsprozess ganz einfach abtauchen und ohne Ankündigung auf „Kommunikation läuft ins Leere“ schalten. Eine Stepstone-Befragung aus 2018 ergab, dass jeder zweite Bewerbende auch 45 Tage nach Versand der Unterlagen keine qualifizierte Rückmeldung erhalten hätte. Und viele erhalten nie eine Antwort oder eine vollkommen unqualifizierte – gerne auch vom Praktikanten selbst verfasst und verschickt. Das gilt auch für Führungskräfte der ersten und zweiten Ebene, die zwar vergleichsweise seltener gesucht werden, jedoch noch schwerer zu finden sind.

>> Warum ist das Ghosting bei den Bewerbenden angekommen?

Einfach gesagt: Angebot und Nachfrage haben getauscht. Galt bis vor wenigen Jahren oder sogar Monaten, dass der Bewerbende ein „Bittsteller“ mit großer Konkurrenz im Wettbewerb um ein rares Stellenangebot war, so befindet sich nun dank Fachkräftemangel das Unternehmen im Kampf um „rare Ressourcen“. Es gibt keinen Grund für Bewerber, sich von oben herab behandeln zu lassen und die Steuerung der Kommunikation allein dem Unternehmensvertreter zu überlassen. Doch viele interne und externe Personaler verharren in ihrer liebgewonnenen Machtstellung von „ich bin derjenige, der Arbeit vergibt, ich bin der Arbeitgebende“. Und die dabei vollkommen übersehen, dass die Bewerberin und der Bewerber sich aussuchen können, wessen Angebot zur Arbeit sie oder er annimmt - also Arbeitnehmende wird.

Vor ein paar Tagen hat einer meiner Klienten mal wieder Tipps von einem Headhunter zu Fragen im Vorstellungsgespräch bekommen. Die in sieben Punkten zusammengefassten Hinweise hatten ein Fazit: bloß keine kritischen Fragen stellen, schön brav sein und warten, was der Arbeitgeber bereit ist, von sich aus zu erzählen. Was für eine asymmetrische Beziehung wird hier gefördert und gefordert!

Auch bei der Besetzung von oberen und obersten Führungsebenen sind Auswahlverfahren oft geprägt von verdeckter oder offen zur Schau gestellter Machtasymmetrie. Diese soll vermeiden, dass schon während der wechselseitigen Auswahl von Manager und künftigem Unternehmen ein Gespräch auf Augenhöhe geführt wird.

>> Mehr Mut zur Symmetrie und Augenhöhe!

Ich greife noch einmal auf, dass ich berufliche Situationen gerne mit privaten zwischenmenschlichen Beziehungen vergleiche. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen beim ersten Date. Die Ihnen gegenübersitzende, für Sie attraktive Person stellt Fragen über Fragen, hakt bei Ihren Antworten beharrlich nach, gibt wenig von sich preis und ist „not amused“, wenn Sie eine Frage stellen. Sie wollen bei diesem Date herausfinden, ob Sie beide zusammenpassen und dazu brauchen Sie Informationen, die über die freiwillig gegebenen hinausgehen. Ihr Gegenüber jedoch möchte nur die eigene, alleinige Entscheidung absichern, ob esIhnen eine Beziehung anbietet, also ob es „Beziehungsgeber“ werden möchte. Sie könnten dann entscheiden, ob Sie „Beziehungsnehmer“ werden wollen. So ein Nonsens, denken Sie jetzt? Das würde ich nie mitmachen, ist Ihre spontane Reaktion. Glückwunsch! Sie haben das Prinzip von Symmetrie und Augenhöhe – hier das Fehlen derselbigen – wahrgenommen. Und sei es unbewusst, weil Sie es so nicht genannt hätten.

Was uns im privaten Bereich als inakzeptabel bis absurd gilt, wird im beruflichen Bereich munter weitergelebt – jedenfalls von recht vielen Unternehmen. Und das ist für mich die falsche Haltung! Beide Seiten müssen rausfinden, ob sie zueinander passen! Dafür müssen beide Seiten offen und transparent sein. Und beide Seiten – Unternehmen wie Bewerbende – sollten mehr als eine Option haben. Bei Unternehmen ist das selbstverständlich, dass sie sich mehrere potenziell passende Kandidatinnen und Kandidaten anschauen. Und sich gerne den Ersatzkandidaten über Wochen „warm halten“, bis sie wissen, ob der favorisierte Kandidat auch unterschreibt – selbstverständlich ohne offen den „Ersatzkandidatenstatus“ zu kommunizieren. So eine Art Ghosting light….

>> Respekt lohnt sich 

Bei Bewerbenden ist es oft die eine Stelle, auf die sie sich beworben haben und die sie unbedingt bekommen wollen. Aber nur wer die Auswahl zwischen mehreren Unternehmen hat, wird tatsächlich die Machtsymmetrie herstellen können, die Arbeitanbietenden erlaubt, auch beharrlich Fragen zu stellen. Und damit eine gesunde und dennoch wohlwollende Skepsis an den Tag zu legen, ohne in irgendeiner Form respektlos zu sein. Bei nur einem einzigen Angebot dagegen laufen sogar C-Level-Manager Gefahr, sich das Unternehmen samt vakanter Verantwortung schön zu reden.

Um wieder die private Analogie zu nehmen: Ein Date sollte ein gegenseitiges Umwerben ohne falsche Versprechungen sein! Und genauso sollte auch der Bewerbungsprozess um eine zu besetzende bzw. zu übernehmende Stelle sein. Wenn beide Seiten mit Respekt und Offenheit sowie auf Augenhöhe agieren, bleibt in den allermeisten Fällen „der Geist in der Flasche“. Dafür brauche alle Beteiligten den Mut, es anders zu machen. Das lohnt sich!